In der Regel keine Schmerzensgeldansprüche bei Arbeitsunfällen

Veröffentlicht am 03.07.2023 von Dr. Ulrich Hörl - Kanzlei Dreher + Partner

In der Regel keine Schmerzensgeldansprüche bei Arbeitsunfällen

LAG Nürnberg - Urteil vom 20.12.2022 - 7 Sa 243/22

Verletzt ein Arbeitskollege einen anderen im Rahmen der Ausführung einer Arbeitstätigkeit, sind in der Regel Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche ausgeschlossen. Derartige Ansprüche sind nur durchsetzbar, wenn die Verletzungshandlung als auch die daraus folgenden Gesundheitsschäden vorsätzlich herbeigeführt worden (doppelter Vorsatz).

Sachverhalt:

Kläger und Beklagter waren Beschäftigte in einer Feuerwache. Der Beklagte wollte ein Feuerwehrfahrzeug zum Unterbringungsort zurückbringen und musste eine enge Hofeinfahrt passieren. Dort saßen zwei Feuerwehrleute auf einer Parkbank und der Kläger stand mit dem Rücken zu dem herannahenden Feuerwehrfahrzeug auf dem Bürgersteig und bemerkte so das Fahrzeug nicht. Der Fahrer des Feuerwehrfahrzeuges hielt das Fahrzeug kurz an und betätigte dann das Signalhorn kurz. Hierdurch erlitt der Kläger einen Gesundheitsschaden (Tinnitus) und war 18 Monate arbeitsunfähig krank. Er nahm seinen Kollegen auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz in Anspruch. Der Kläger war der Auffassung, der Beklagte könne sich auf das Haftungsprivileg des § 105 SGB VII nicht berufen, da es schon an einer betrieblichen Tätigkeit fehle. Der Beklagte habe es nur darauf abgesehen, ihn, den Kläger, zu erschrecken. Dies sei aber keine betriebliche Tätigkeit. Die Nutzung des Martinshorns sei nur für bestimmte Fälle zugelassen, nämlich Leben retten, Gefahren abwenden und soweit es das Allgemeinwohl erfordere. Dies habe der Beklagte gewusst.

Die Entscheidung des Gerichtes:

Sowohl Arbeitsgericht als auch Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.

§ 105 SGB VII bestimmt, dass Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Personenschaden herbeiführen hierfür nur haften, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf dem Weg zur Arbeit verursacht haben.

Betriebliche Tätigkeit:

Nach der Rechtsprechung des BAG liegt eine betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 105 Abs. 1 SGB VII nur dann vor, wenn das Schadensereignis durch eine Tätigkeit des Schädigers verursacht wurde, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen war oder die von ihm im Betriebsinteresse ausgeführt wurde. Der Begriff der betrieblichen Tätigkeit ist nicht eng auszulegen. Er umfasst auch Tätigkeiten, die in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis stehen. Die Art, wie die Tätigkeit ausgeführt wird (sachgemäß oder fehlerhaft, vorsichtig oder leichtsinnig), entscheidet nicht darüber, ob es sich um eine betriebliche Tätigkeit handelt oder nicht. Der betriebliche Charakter der Tätigkeit geht nicht dadurch verloren, dass der Arbeitnehmer bei der Ausführung der Tätigkeit grob fahrlässig oder vorsätzlich seine Verhaltenspflichten verletzt.

Handlung in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit/Sichtweise des Schädigers entscheidend.

Für die Haftungsfreistellung ist nach der Rechtsprechung des BAG maßgeblich, ob der Schaden „in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit oder bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb" durch den Schädiger verursacht wurde oder ob die Tätigkeit dem persönlich-privaten Bereich des Schädigers zuzurechnen ist. Um einen solchen Fall handelt es sich insbesondere, wenn der Schaden infolge einer neben der betrieblichen Arbeit verübten, gefahrenträchtigen Spielerei, Neckerei oder Schlägerei eintritt. Die Betriebsbezogenheit einer Tätigkeit entfällt daher immer, wenn die schädigende Handlung nach ihrer Anlage und der Intention des Schädigers erst gar nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet ist oder ihr gar zuwiderläuft. Es kommt also darauf an, zu welchem Zweck die Handlung, die zu dem Schadensereignis geführt hat, ausgeführt wurde. Dabei kommt es auf die Sicht des Schädigers an und nicht auf die Sichtweise des Geschädigten. Eine betriebliche Tätigkeit liegt vor, wenn der Schädiger bei objektiver Betrachtung aus seiner Sicht im Betriebsinteresse handeln durfte, sein Verhalten unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit nicht untypisch ist und keinen Exzess darstellt.

Im Hinblick darauf, dass die Zufahrt zu dem Stellplatz des Fahrzeuges eng war und der Beklagte die Arbeitskollegen durch betätigen des Signalhorns warnen wollte, handelt es sich um eine betriebliche Tätigkeit und nicht um einen gezielten Angriff auf den Kläger.

Doppelter Vorsatz erforderlich:

Für die Annahme einer vorsätzlichen Schädigung, die einen Schadensersatzanspruch unter Arbeitskollegen auslöst, ist ein sogenannter doppelter Vorsatz erforderlich. Der Vorsatz des Schädigers muss nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen.

Vorsätzliches Verhalten in diesem Sinne liegt in Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit nicht schon vor, wenn der Schädiger den möglicherweise eintretenden Erfolg sieht oder es ihm gleichgültig ist, ob ein derartiger Erfolg eintritt mit der Annahme, es werde schon nichts passieren. Bedingter Vorsatz liegt erst dann vor, wenn der möglicherweise eintretende Erfolg in Gestalt des eingetretenen Personenschadens für den Fall seines Eintritts auch gebilligt, jedenfalls in Kauf genommen wird.

Im entschiedenen Fall hat das Gericht ausgeführt, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Beklagte das Signalhorn betätigt hat, um den Kläger absichtlich zu verletzen. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte einen Gehörschaden bei seinen Kollegen gewollt oder diesen in Kauf genommen hätte.

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